Ludwig van Beethoven, Brief an Joseph Karl Bernard, Wien, wohl 23. Januar 1824, Autograph
Beethoven-Haus Bonn, Sammlung H. C. Bodmer, HCB Br 45
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Zusammenfassung
Joseph Karl Bernard hatte für Beethoven den Oratorientext "Der Sieg des Kreuzes" verfasst und ihm im Herbst 1823 zukommen lassen. Der Brief ist eine verspätete Reaktion, vermutlich ausgelöst durch eine Mahnung der Gesellschaft der Musikfreunde, die das Oratorium in Auftrag gegeben hatte. Beethoven schreibt, er könne den Text nicht ohne gründliche Überarbeitung vertonen und stellt Bernard frei, das Libretto einem weniger kritischen Tondichter zu überlassen. Er betont, dies sei nicht als Geringschätzung des Werkes zu verstehen.
Das lange Ausbleiben einer Antwort entschuldigt Beethoven mit seinem Umzug (der jedoch bereits - wie der Empfang des Textes - ein Vierteljahr zurücklag).
Beethovens Oratorienplan zum "Sieg des Kreuzes" gehört zu den nie abgeschlossenen Episoden seines Schaffens, die ihn aber viele Jahre begleiteten. Bereits 1815 hatte die Gesellschaft der Musikfreunde bei dem hochberühmten Komponisten ein Oratorium in Auftrag gegeben, was aus unterschiedlichen Gründen im Sande verlief. 1818 wurde die Anfrage dann wiederholt und konkretisiert, 1819 sogar ein nicht unbedeutender Vorschuss gezahlt. Zwischen 1820 und 1823 wartete Beethoven dann auf ein Libretto, für das sein Freund Bernard engagiert worden war. Als Bernard Ende 1823 endlich den Text lieferte, stellte sich dieser als minderwertig und langweilig heraus. Wieder wird die Gesellschaft vertröstet: Beethoven redete sich mit notwendigen Textkorrekturen heraus, die für einen Beginn der musikalischen Arbeit unerlässlich seien.
Bekanntlich wurde das Oratorium "Der Sieg des Kreuzes" nie von Beethoven vertont. Skizzen und Arbeiten zu dem Stoff sind keine bekannt. Noch im Nachruf, der nach Beethovens Tod in der Wiener Zeitung erschien, wurde das Oratorium jedoch als unvollendetes Werk erwähnt. (J.R.)