Ludwig van Beethoven, "Glaube und hoffe", Satz für vier Singstimmen, WoO 174, Autograph
Beethoven-Haus Bonn, Sammlung H. C. Bodmer, HCB BSk 17/65b
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Wissenswert
Kanon für Kalbsbraten
"Vien am 21ten Sept. 1819 bey Anwesenheit des Hr: Schlesingers aus Berlin von L. v Beethoven", so Beethovens Widmung über diesem kanonartigen Satz "Glaube und hoffe" (WoO 174). Beethoven verschenkte das Stück an Maurice (Moritz Adolph) Schlesinger zum Dank. Dieser hatte zuvor dem Komponisten einen Kalbsbraten verschafft. So zumindest berichtete Schlesinger es 1859 - 40 Jahre später! - dem Beethoven-Biographen A. B. Marx: "Ich befand mich im Gewölbe von Steiner & Comp. [einem Wiener Musikalienhändler und -verleger], als mir Haslinger, dessen Associé, sagte: da ist Beethoven, wollen Sie ihn kennen lernen? (...) Darauf stellte er mich ihm vor und Beethoven lud mich ein ihn in Baden zu besuchen. Dies geschah einige Tage später. Vom Wagen absteigend trat ich ins Wirtshaus und fand dort Beethoven, der mit Wut aus der Tür ging, die er stark hinter sich zuschlug. Nachdem ich mich ein wenig abgestäubt, ging ich in das als seine Wohnung bezeichnete Haus. Seine Haushälterin sagte mir, ich würde ihn wohl nicht sprechen können, er sei wütend heimgekehrt. Ich gab ihr meine Visitenkarte, die sie ihm brachte und nach einigen Minuten kam sie (...) wieder heraus und sagte mir, einzutreten. Da fand ich den großen Mann an seinem Schreibpult. (...) Er (...) sagte mir, er sei der unglücklichste Mensch von der Welt; so eben komme er aus dem Wirtshause, wo er ein Stück Kälbernes, wozu er Lust verspürt, verlangt habe; aber es sei keines da gewesen; - das Alles mit sehr ernster finsterer Miene. (...) Ihn verlassend, eilte ich in meinem Wagen zurück nach Wien, fragte sogleich meinen Wirtssohn, ob man einen Kalbsbraten fertig habe, und auf dessen Bejahung ließ ich denselben auf eine Schüssel legen, wohl zudecken, und sandte, ohne ein Wort dazu zu schreiben, einen Mann in dem behaltenen Wagen nach Baden, um ihn an Beethoven in meinem Namen zu bringen. Am andern Morgen (...), da kam Beethoven zu mir, küßte und herzte mich und sagte, ich sei der beste Mensch, den er je angetroffen; nie habe ihn etwas so glücklich gemacht als dieses Kälbernes in dem Augenblick, wo er sich so sehr danach gesehnt."
Maurice Schlesinger war 1819 ein junger Mann von 21 Jahren und noch nicht der etablierte Pariser Verleger. Sein Vater führte in Berlin einen Musikverlag und wollte mit Beethoven ins Geschäft kommen. Den Wahrheitsgehalt von Maurice's Erzählung können wir nicht mehr feststellen. Wie der gewidmete Kanon beweist, scheint der junge Mann auf jeden Fall Eindruck auf den bereits berühmten Komponisten gemacht zu haben. Auch war seine Mission ausgesprochen erfolgreich: für den (wahren oder erfundenen) Kalbsbraten erhielt der Verlag Schlesinger anschließend immerhin von Beethoven op. 108, 109, 110 und 111 zum Druck.
Der Kanon blieb übrigens bis 1907 im Besitz der Familie Schlesinger und wurde von Maurice Schlesinger wie ein Schatz gehütet. So schreib er 1822 aus Paris an Beethoven: "Stets werde ich mich der Stunden erinnern die ich das Glück hatte bey Ihnen zuzubringen, den mir damals gegebenen Anfang eines Canons, ehre ich wie ein Heiligthum, und bewahre solchen mit der höchsten Sorgfalt, zur Freude aller derer die nie das Glück hatten etwas von Ihrer Hand geschriebenes zu sehen" (BGA 1476. Maurice Schlesinger an Beethoven, Paris, 3. Juli 1822). (J.R.)