Ludwig van Beethoven, Sinfonie Nr. 6 (F-Dur) op. 68 (Pastorale), Partitur, Autograph
Beethoven-Haus Bonn, BH 64
digitalesarchiv@beethoven.de
Klingendes Autograph
Wissenswert
Zwischen "heiterer Empfindung" und "Gewitter, Sturm"
Wir sehen hier den unbestreitbar größten Schatz des Beethoven-Archivs: das vollständige Autograph der 6. Sinfonie op. 68, der "Pastorale". Es ist jedoch ein Irrtum zu glauben, dieses Autograph wäre der saubere Abschluß einer Entwicklung, an deren Ende ein fertiges, "ordentliches" Manuskript steht. Vielmehr lässt sich an diesem Autograph der Kompositionsprozeß verfolgen: unter dem abgeschlossenen Text sind mehrere Schichten sichtbar.
Wie bei vielen seiner Partiturmanuskripte verwendete Beethoven Notenpapier, das er schon vor Beginn der Arbeit vorbereitete, indem er jede Seite mit dem Lineal in drei große Takte einteilte. Diese Großtakte konnte er bei Bedarf von Hand noch weiter unterteilen, sie erleichterten ihm aber den Schreibfluß. Bei der Niederschrift der Partitur begann Beethoven zunächst mit den wichtigen, tragenden Stimmen, den sog. Führungsstimmen. Er notierte zunächst eine Art Gerüst, das er später auffüllte (ähnlich wie beim Bau eines Fachwerkhauses). Auf einigen Seiten hat er später auf die "Füllung" verzichtet (es genügte, mit "come sopra" anzumerken, dass die entsprechende Stelle wie eine gleiche Stelle weiter vorne sein sollte).
Manchmal änderte Beethoven auch während der Arbeit die Seitenaufteilung, so dass er Takte oder Taktgruppen streichen musste, so z.B. auf Bl. 32. Der erste Takt auf der Rückseite, Bl. 32v, war vornotiert, passte dann aber bei der Ausarbeitung als letzter Takt schon auf die Vorderseite, Bl. 32r - er konnte also verso gestrichen werden. Auch nahm Beethoven Änderungen in der Struktur des Werkes vor, kürzte Abschnitte oder verlängerte sie oder änderte ganze Phrasen. Auf vielen Seiten tragen die unteren freien Systeme flüchtige Skizzen zu Takten, die sich weiter oben auf der Seite in der Partitur wieder finden. Beethoven notierte sich hier keine neuen melodischen Ideen oder Entwürfe, sondern probierte meist Instrumentationen kritischer Stellen. Diese Notierungen gehören einem relativ frühen Stadium der Komposition an.
Nach der Niederschrift der Füllstimmen hatte der Komponist nun eine zunächst fertige, vorläufig vollständige Partitur vor sich. In einem weiteren Schritt sah er sich das ganze Werk noch einmal durch und überarbeitete es an vielen Stellen vollständig. Dabei konnte es auch vorkommen, dass er vorherige Änderungen wieder zurücknahm. In so einem Fall wurde eine gestrichene Stelle mit "bleibt" gekennzeichnet, z.B. auf Bl. 69r (Bild 139). Schließlich sah sich ein zuverlässiger Berufskopist, Joseph Klumpar, der etliche Male für Beethoven arbeitete, die Partitur durch, um daraus die Abschrift der Orchesterstimmen vorzubereiten. Bei dieser Durchsicht las Klumpar das Autograph auch Korrektur und machte Anmerkungen zu unklaren Stellen im Text oder zu Versäumnissen, auf die er Beethoven aufmerksam machte und die dieser dann korrigierte. An solchen Stellen notiert Klumpar am Rand ein "NB", nach Korrektur wurde der Vermerk durchgestrichen. So hatte Beethoven z.B. auf Bl. 52r Noten vergessen. Der Kopist hatte dies bemerkt, daraufhin trug Beethoven mit seinem roten Korrekturstift (Rötel) die entsprechende Stelle nach und Klumpar strich seinen Vermerk am linken Rand wieder durch - erledigt. Vermutlich schrieb Beethoven den vierten Satz etwas später als die übrigen Sätze noch einmal aus. Es finden sich darin keine Instrumentierungsskizzen, eine andere Tinte, eine andere Heftung und er war auch nicht zuvor in drei Großtakte geordnet worden. (J.R.)
Faksimile-Edition im Verlag Beethoven-Haus