Herbst 1809 bis Juni 1810
In vielen Theaterstücken ist Musik integrierter Bestandteil der Handlung (schon in der antiken griechischen Tragödie hatte der Chor als Bühnen- oder Schauspielmusik tragende Rolle). Johann Wolfgang von Goethe hatte für jedes seiner Dramen ein musikdramaturgisches Konzept, das er in zahlreichen entsprechenden Regieanweisungen festhielt. In seiner Tragödie "Egmont" finden sich nicht nur Lieder, die auf der Szene gesungen werden sollen, auch Hintergrundmusiken sind explizit vorgeschrieben. Zum Tod Klärchens notiert Goethe beispielsweise: "Eine Musik, Klärchens Tod bezeichnend, beginnt". Auch Egmonts Schlaf im Gefängnis soll von Musik begleitet werden. Das Drama schließt nach Goethes Wunsch mit einer Siegessinfonie. Der Dichter konzipierte das Stück mit einer Schauspielmusik, ohne diese jedoch mitzuliefern - ein Problem für Regisseure und Theaterintendanten. Im Herbst 1809 löste k. k. Hoftheaterdirektor Joseph Hartl in Wien diese Aufgabe, indem er Ludwig van Beethoven für eine Neuinszenierung des "Egmont" mit der musikalischen Umsetzung des Goetheschen Regiekonzepts beauftragte. Gemäß der Theaterpraxis der Zeit vertonte Beethoven nicht nur die geforderten szenischen Stücke, sondern fügte auch noch eine Ouvertüre sowie Zwischenaktmusiken hinzu. Sicherlich war der Auftrag für den Komponisten nicht nur Broterwerb, denn das Trauerspiel traf durchaus seine politischen Neigungen und Empfindungen. Gegenstand des Goetheschen Dramas ist der Befreiungskampf der Niederlande Anfang des 16. Jahrhunderts, die unter dem Joch der spanischen Besatzung zu leiden hatten. Nicht nur der zum Ausdruck gebrachte Freiheitsgedanke dürfte Beethovens Geschmack getroffen haben. 1809 stöhnte Österreich unter der Besatzung der Napoleonischen Truppen - der Freiheitskampf Egmonts spiegelte auch Beethovens Lebenserfahrung und Hoffnungen der Jahre 1809/10. (J.R.)