April 1819 bis spätestens Januar 1823
Äußerer Anlaß zur Entstehung der Missa solemnis op. 123 war die Erhebung Erzherzog Rudolphs zum Erzbischof von Olmütz. Beethoven fühlte sich dem musikalisch begabten Mitglied des Kaiserhauses besonders verbunden: Erzherzog Rudolph war seit 1809 Beethovens Kompositions- und Klavierschüler. Beider Verhältnis ging jedoch über eine bloße Lehrer-Schüler-Beziehung weit hinaus, wovon u.a. auch die vielen Widmungen Beethovens an Rudolph zeugen. Rudolph war bereits ab 1805 Koadjutor des Erzbischofs von Olmütz - ein Amt, das das Recht der Nachfolge einschloß. Diese muß er 1819 antreten. Am 20.1.1819 stirbt der Erzbischof von Olmütz, Graf Maria Thaddäus von Trauttmansdorff-Weinsberg. Nach seiner formellen Wahl durch das Domkapitel im März wird Rudolph im Juni 1819 offiziell vom Papst bestätigt und tritt de facto im Sommer sein Amt an. Die Inthronisationsfeierlichkeiten werden für den 9. März 1820 in Olmütz festgesetzt. Schon nach Bekanntgabe der Wahl durch das Domkapitel faßt Beethoven den Beschluß, eine feierliche Messe für die Inthronisation zu komponieren. Diesen Plan konnte er jedoch nicht verwirklichen: ein Jahr Zeit erwies sich letztlich als nicht lange genug. Immer wieder meldet er, die Messe sei "nun bald vollendet" (Oktober 1819) oder "beinahe vollendet" (November 1819). Immer wieder vertröstet Beethoven den Erzherzog und schiebt andere Dinge wie z.B. Vormundschaftsangelegenheiten seinen Neffen betreffend vor. Auch dem Verleger Simrock gegenüber, dem er die Messe ab 1820 verkaufen wollte, wandte Beethoven unterschiedliche Verzögerungs- und Hinhaltetaktiken an.
Alle ließ er warten. Lange warten. Nach fast vier Jahren Entstehungszeit schloss Beethoven schließlich im Januar 1823 die in jeder Hinsicht inkommensurable Messe endlich ab.
Zwar war die Messe primär für den Gebrauch im katholischen Gottesdienst vorgesehen, schon für die Zeitgenossen durchbricht sie jedoch ihrer Ausmaße wegen alle gattungsbezogenen Maßstäbe. Beethoven selbst ist sich dessen wohl bewußt. In einem Brief an Goethe vom 8.2.1823 schreibt er "die Meße ist auch als oratorium gleichfalls aufzuführen". Dieser Einordnung als Konzertmesse oder Oratorium entsprechend, bot Beethoven die fertige Messe 1823 den europäischen Fürstenhäusern zur Subskription an. Ihre Uraufführung erlebte die Missa solemnis im April 1824 ebenfalls nicht im liturgischen Rahmen, sondern als "Oratorium" in einem Konzert der St. Petersburger Philharmonischen Gesellschaft auf Veranlassung Fürst Galitzins. (J.R.)