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Das Handwerk des Verlegers (2021–2024)

Untersuchungen zu Entstehungsprozessen von Beethoven-Originalausgaben

Bisherige Forschungen zu Beethovens Geschäftsbeziehungen mit seinen Hauptverlegern gehen im Wesentlichen von der Perspektive des Komponisten aus. Seine eigenen Äußerungen spiegeln meist sehr eindrücklich den Ärger des Komponisten über zu viele Fehler, über nicht oder nur schlecht ausgeführte Korrekturen oder den verfrühten Verkauf von fehlerhaften Ausgaben wider. Dies hat ein einseitiges Bild von schlecht arbeitenden und die künstlerischen Belange des Komponisten zu wenig berücksichtigenden Verlegern zur Folge und bedient zudem den sprichwörtlichen "Mythos Beethoven" vom genialen Schöpfer, der notwendige Alltagsgeschäfte für lästig hielt und sie nur im Notfall und mit Widerwillen selbst erledigte.

Doch wie stellte sich die Zusammenarbeit mit Beethoven aus Sicht der Verleger dar? Welche Aspekte und Faktoren hatten sie – neben dem Autorwillen – bei ihren Entscheidungen und in ihren Arbeitsabläufen zu berücksichtigen? Wie brachten sie künstlerische und wirtschaftliche Interessen zusammen? Welche Rückschlüsse lassen die aus einer solchen Weitung der Perspektive gewonnenen Erkenntnisse auf das Verhältnis zwischen Beethoven und seinen Verlegern zu? Und welche neuen Sichtweisen ergeben sich daraus für den Handel mit Musikalien im 19. Jahrhundert und das Musikleben der Zeit im Allgemeinen? Wie schätzten Verleger den Musikalienmarkt ein und wie beeinflussten sie ihn?

Das Forschungsprojekt "Das Handwerk des Verlegers" hat zum Ziel, die Entstehungsprozesse von autorisierten Ausgaben von Werken Beethovens und deren Nachauflagen, die durch Überarbeitung der Stichplatten nach Erscheinen der ersten Auflage entstanden sind, zu untersuchen und dabei dezidiert den Blickwinkel der Verleger einzunehmen. Dabei geht das Projekt von der Prämisse aus, dass alle historischen Ausgaben eines Werks zu seiner Überlieferungsgeschichte beitragen, unabhängig davon, wie "korrekt" oder "fehlerhaft" der Notentext der Drucke ist. Es geht also nicht um eine Bewertung, sondern um eine möglichst detailreiche Erforschung der historischen Sachverhalte und der Verantwortlichkeiten der verschiedenen Akteure.

Um eine gesicherte Quellenbasis für die Untersuchung zu gewährleisten, werden von ausgewählten Verlagen, mit denen Beethoven eng zusammenarbeitete, zunächst einzelne Ausgaben in möglichst vielen Exemplaren verglichen, um ein präzises Bild von der Anzahl der Plattenstadien und deren Unterscheidungsmerkmalen (Plattenkorrekturen, Plattenreparaturen) zu erhalten. Dies stellt eine wesentliche Neubewertung bei der Unterscheidung von Auflagen dar, die in der bisherigen Forschung v.a. anhand von Änderungen der Titelseite vorgenommen wurden (sogenannte Titelauflagen). Der Textvergleich der Notenseiten wird mit Hilfe des "CollAna-Collationierungs- und Analysetools für Musikdrucke" vorgenommen, mit dem Digitalisate am Bildschirm übereinandergeblendet werden können, so dass der zeitaufwändige Zeichen-gegen-Zeichen-Vergleich deutlich erleichtert wird.

Gleichzeitig werden die so gewonnenen Erkenntnisse anhand von Archivalien, Rezensionen und anderen publizistischen Beiträgen, Annoncen, Verlagskatalogen u.ä. kontextualisiert und erweitert, so dass sowohl neue Erkenntnisse über die Arbeitsweisen der Verlage als auch über die Zusammenarbeit von Komponist und Verleger gewonnen werden können.

Die Ergebnisse werden in Vorträgen zur Diskussion gestellt und in einer umfangreichen Studie der Öffentlichkeit vorgelegt. Die verschiedenen Ausgaben und ihre Plattenstadien werden in einer Open-Access-Datenbank dokumentiert, die zum Projektabschluss freigeschaltet wird.

An dem Projekt, das unter der Leitung von Christine Siegert am Beethoven-Archiv durchgeführt wird, sind bzw. waren als Wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Yuval Dvoran (seit August 2023), Christin Heitmann, Till Reininghaus (bis Juli 2023) und Heide Volckmar-Waschk (seit Juni 2023) und als Studentische Hilfskräfte Jana Seifert (bis Juli 2023) und Ahrim Song (seit August 2023) tätig. Es wird für drei Jahre von der Fritz Thyssen Stiftung für Wissenschaftsförderung Köln gefördert (Az. 10.21.1.030KU). Als Kooperationspartner konnte Axel Beer (Johannes Gutenberg-Universität Mainz) gewonnen werden.