Die Verleger und Beethoven
Neues Forschungsprojekt am Forschungszentrum Beethoven-Archiv untersucht das Handwerk des Verlegers
15.09.2021In der fünften Auflage der Originalausgabe von Ludwig van Beethovens "Diabelli-Variationen" op. 120 findet sich ein Kuriosum: Im Vergleich zu den früheren Auflagen enthält diese plötzlich einen zusätzlichen Takt. Wie kam es zu dieser Veränderung?
Der beschriebene Vorgang ist kein Einzelfall. Eingriffe der Verleger bei der Herstellung von gedruckten Ausgaben mit und ohne Zustimmung Beethovens kamen häufiger vor. Dieses Phänomen untersucht nun das Projekt "Das Handwerk des Verlegers", das jüngst am Forschungszentrum Beethoven-Archiv seine Arbeit aufgenommen hat. Ermöglicht wird es durch die großzügige Förderung der Fritz Thyssen Stiftung für Wissenschaftsförderung Köln, die dafür bis zu 260.000 Euro zur Verfügung gestellt hat.
Das Forschungsteam, bestehend aus den Musikwissenschaftlerinnen Christine Siegert (Leitung) und Christin Heitmann, dem Musikwissenschaftler Till Reininghaus und der Studentischen Hilfskraft Jana Seifert, verfolgt das Ziel, das Verhältnis zwischen Beethoven und seinen Verlegern besser beurteilen zu können. Bisherige Forschungen zu den Geschäftsbeziehungen des Komponisten mit seinen Verlegern zeichnen oft ein recht negatives Bild. Denn Beethovens eigene Äußerungen spiegeln meist sehr eindrücklich seinen Ärger über zu viele Fehler, über nicht oder nur schlecht ausgeführte Korrekturen oder den verfrühten Verkauf von fehlerhaften Ausgaben wider. Das hat ein einseitiges Bild von schlecht arbeitenden Verlegern zur Folge, die die künstlerischen Belange des Komponisten zu wenig berücksichtigten. Es bedient zudem den sprichwörtlichen 'Mythos Beethoven' vom genialen Schöpfer, der notwendige Alltagsgeschäfte für lästig hielt und sie nur im Notfall und mit Widerwillen selbst erledigte.
Das neue Forschungsprojekt berücksichtigt nun auch den Blickwinkel der Verleger. Wie stellte sich die Zusammenarbeit mit Beethoven aus ihrer Sicht dar? Und wie brachten sie künstlerische und wirtschaftliche Interessen zusammen? Zur Beantwortung dieser und anderer Fragen werden in den kommenden zwei Jahren unter anderem Ausgaben von Werken Beethovens, die mit Beteiligung des Komponisten entstanden sind (sog. Originalausgaben), sowie deren Nachauflagen am Beispiel ausgewählter Verlage eingehend auf ihre jeweiligen Unterschiede hin untersucht. "Wir erhoffen uns, zu neuen Aussagen über die Entstehungsprozesse der frühen Beethoven-Ausgaben zu kommen", so die Leiterin des Beethoven-Archivs, Christine Siegert. Dabei geht das Forschungsteam von der Prämisse aus, dass alle historischen Ausgaben eines Werks zu seiner Überlieferungsgeschichte beitragen, unabhängig davon, wie "korrekt" oder "fehlerhaft" der Notentext der Drucke ist. "Es geht also nicht um eine Bewertung, sondern um eine möglichst detailreiche Erforschung der historischen Sachverhalte und der Verantwortlichkeiten der verschiedenen Akteure", erläutert Siegert. Auch darin geht das Projekt neue Wege. Anhand von verlagsbezogenen Archivalien, Rezensionen und anderen publizistischen Beiträgen, Annoncen oder Verlagskatalogen sollen die gewonnenen Erkenntnisse erweitert und in einen größeren Kontext gestellt werden.
Die Resultate des Forschungsprojekts werden zunächst in Vorträgen zur Diskussion gestellt und anschließend in einer umfangreichen Studie der Öffentlichkeit vorgelegt. Auch ist die Präsentation der Originalausgaben und ihrer verschiedenen Auflagen in einer Datenbank geplant. Zum Abschluss des Projekts werden die Arbeitsergebnisse in einem Werkstattkonzert für ein breites Publikum erläutert und hörbar gemacht.
Bitte beachten Sie die Abbildungen:
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Diabelli alt C 120-2 Markierung zugeschnitten.jpg
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Bildunterschrift:
Die Originalausgabe der "Diabelli"-Variationen op. 120 in einer früheren und einer späteren Auflage. Die spätere Auflage enthält einen zusätzlichen Takt (markiert), © Beethoven-Haus Bonn.
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